[Alltag] - Tschernobyl und das Institut zur Erforschung des elterlichen DurchhaltevermögensEines der besten Bücher, die ich kenne, ist ein lustiger Elternratgeber von Pierre Antilogus und Jean-Louis Festjens: "Von Satansbraten, Faulpelzen und Unschuldsengeln. Ein Überlebenshandbuch für Eltern"
Mir fiel das Buch für 15 Jahren ungefähr das erste mal in die Hände und erst vor einigen Monaten musste ich lange danach suchen, um es noch irgendwo gebraucht zu bekommen. Es wird nämlich nicht mehr verlegt.
Neben unzähligen anderen niemals ernst gemeinten Hinweisen für Eltern im Umgang mit ihren Kindern, werden in diesem Buch auch immer wieder Forschungsberichte des "Institut zur Erforschung des elterlichen Durchhaltevermögens" (I.E.E.D) veröffentlicht.
Der für mich prägendste und derzeit hochaktuelle Bericht ist der vom 25. April 1986 aus dem Kernkraftwerk Tschernobyl aus dem ich hier zitieren möchte:
Experiment Nr.722. UdSSR, 25. April 1986
Proband: Herr Boris Bogdanoff, 43 Jahre alt, Nachtwächter, Vater von zwei Kindern (Igor, 7 Jahre und Grischka, 7 Jahre)
Zweck des Experimentes: Der Proband hat sich dazu verpflichtet, seine beiden Söhne zum Nachtdienst mitzunehmen.
Ablauf des Experimentes:
21 Uhr: Herr Bogdanoff tritt seinen Dienst im Kontrollraum des Kraftwerks an.
21 Uhr 02: Der kleine Igor krabbelt auf allen vieren auf ein Steuerpult, während sein Bruder Grischka einen Strahlenschutzanzug angezogen hat, um seinem Bruder angst einzujagen. Der Proband fordert seine Kinder auf, sich doch gefälligst zu benehmen.
21 Uhr 10: Igor und Grischka raufen miteinander, dabei werfen sie die Wodkaflasche ihres Vaters um, die zerbricht. Beim Probanden machen sich starke Anzeichen von Ärger bemerkbar. Die Forscher des I.E.E.D. legen ihren Gehörschutz an.
21 Uhr 15: Der Proband hat im Fach des Genossen Pripiakow eine andere Flasche gefunden. Schnell wird seine Laune wieder besser.
21 Uhr 17: Igor und Grischka spielen im Computerraum Verstecken. Der Proband hat die Wodkaflasche ausgetrunken und singt das Lied von den Wolgaschiffern.
21 Uhr 18: Aus dem Computerraum ist ein lauter Knall zu hören. Der kleine Igor hat - ohne es zu wollen - das Programm 'GAU' abgerufen.
21 Uhr 19: Im Steuerraum springen sämtliche Lampen auf Rot.
21 Uhr 20: Die Forscher des I.E.E.D. verlassen überstürzt den Kontrollraum.
21 Uhr 22: Die Alarmsirenen beginnen zu heulen. Der Proband schaltet den automatischen Nothalt für die Turbinen ab und geht auf Handsteuerung. Dann schließt er die Dampfzufuhrventile zu den Hauptturbinen, was einen Energiestau zur Folge hat. Innerhalb von zwei Sekunden steigt der thermische Output des Reaktors von 250 Megawatt auf 530 Megawatt.
21 Uhr 23: Der Reaktor Nr. vier des Kernkraftwerkes Tschernobyl explodiert. Fünf Tonnen radioaktiven Brennstoffes werden in die Atmosphäre geschleudert. |
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